[dropcap]N[/dropcap]ach Jahren der Stagnation und der Friedhofsruhe hat sich der Gang der Ereignisse In Österreich deutlich beschleunigt. Der Rücktritt des Vize-Kanzlers und ÖVP-Vorsitzenden Mitterlehner im Frühjahr leutete die Totenglocken für die grosse Koalition von SPÖ und ÖVP. An die Stelle von Mitterlehner trat der ÖVP-Aussenminister Sebastian Kurz. Er wurde seit Jahren systematisch auf diese Aufgabe vorbereitet.

Der Wahlkampf zu Österreichs Parlamentswahlen am 15. Oktober stellen den Anfang einer neuen Periode des verschärften Klassenkampfes dar. Die Krise hat die alten Parteien schwer angeschlagen. Die Sozialdemokratie hat in neun Jahren der Bankenrettungen und Krisenbewältigung auf Kosten der ArbeiterInnen ihren politischen Ruf verspielt. Nationalismus und Rassismus stellten ihr wichtigstes Mittel dar, um für unpopuläre Massnahmen Unterstützung zu gewinnen. Auch ihr Koalitionspartner, die konservative Volkspartei ÖVP, war schwer angeschlagen. In der Bundespräsidentenwahl 2016 erhielten die zwei Kandidaten der Regierungsparteien zusammen lediglich 22.4% der Stimmen und schieden im ersten Wahlgang aus.

Die Neuformierung der ÖVP

Im Frühjahr ist es ÖVP-Aussenminister Sebastian Kurz innert wenigen Tagen gelungen, der Partei eine neue Orientierung zu verpassen. Kurz verkörpert die Abkehr von der Sozialpartnerschaft und die Öffnung auf eine “Bürgerblock”-Regierung. Damit drückt er direkter die Bedürfnisse des Kapitals aus: Er soll das bürgerliche Lager für einen direkteren Angriff auf die sozialen und demokratischen Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung vorbereiten. Für diese Aufgabe wurde seine politische Karriere gezielt von entscheidenden Kreisen der herrschenden Klasse gefördert – allen voran der Raiffaisenbank.

Durch Kurz’ politischen Richtungswechsel hat der Wahlkampf der ÖVP eine neue Dynamik erhalten. Doch ihr Selbstvertrauen kommt nicht nur davon, dass sie das Grosskapital und damit die Massenmedien auf ihrer Seite hat. Auch die politische und organisatorische Schwäche der ArbeiterInnenbewegung trägt dazu bei.

Ohne eine klare Alternative von Links muss Sebastian Kurz sein politisches Programm nicht einmal verteidigen. Dabei hat es dieses in sich. Das Kernanliegen: Verbesserung der Profitbedingungen in Österreich. Die sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnen – Gesamtarbeitsverträge, Höchstarbeitszeit oder Mindestsicherung – müssen dazu weg. Mit unverblümte Ausländerfeindlichkeit lenkt er von den entstehenden sozialen Problemen ab.

Stagnierende Produktivität

All diese Angriffe geschehen im Interesse des österreichischen Kapitals. Wie die Schweiz ist Österreich ein kleines Land ohne nennenswerten Binnenmarkt. Die Industrie ist deshalb stark auf den Export ausgerichtet. Der wichtigste Aussenhandelspartner ist Deutschland, ein hart umkämpfter Markt. Verglichen mit anderen mittel- und westeuropäischen Staaten verfügt Österreich über einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil. Seine Arbeitsproduktivität ist niedriger als etwa jene in Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland. Für Österreichs Kapitalisten, die mit der ganzen Welt in Konkurrenz stehen, ist dies fatal. Den Standort Österreich wieder Konkurrenzfähig machen, ist für sie eine Frage ihrer Profite – also ihres Überlebens. Um dies zu erreichen sind sie auf Konterreformen angewiesen, wie sie eine SPÖ-Regierung nicht bringen kann – wie sie nur eine Bürgerblock-Regierung liefern kann.

SPÖ: Sparprogramm light

In den Umfragen stagniert die SPÖ. Neun Jahre Politik im Interesse der Banken und der Grosskonzerne haben sie von ihrer sozialen Basis entfremdet. Die Rettung der HypoAlpe Adria Bank hat die Steuerzahlre 19 Milliarden Euro gekosstet. Die Rechnung für die Krise wurde auf die ArbeiterInnen abgewälzt. Die SPÖ biedert sich weiterhin mit einem „Sparprogramm light“ beim Kapital an. Trotzdem hofft sie am Wahltag immer noch auf  die Stimmen der ArbeiterInnen. Programmatisch zeigt sich der Rechtsrutsch im SPÖ Arbeitsprogramm „Plan A für Österreich“. Wichtige Programmpunkte darin bildeten die Verlängerung der Höchstarbeitszeit, die Reduktion von Ruhezeiten oder die Stärkung eines staatlich geförderten „zweiten Arbeitsmarktes“ mit Zwangscharakter. So kann es niemanden verwundern, wenn viele ArbeiterInnen Mühe haben, den Versprechen der SPÖ-Führung eine Woche vor der Wahl zu glauben. Dabei ist der “Plan A” nur die programmatische Folgerung der reformistischen Politik der SPÖ.

Spaltung durch Rassismus

Seit dem Jahr 2015 ist die Migrationsfrage in ganz Europa medial omnipräsent. Wie im restlichen Europa wurde diese Debatte auch in Österreich gezielt mit Rassismus aufgeladen. AusländerInnen im allgemeinen und Geflüchtete im besonderen wurden als Sündenböcke dargestellt, als Grund für Kürzungen im Sozialbereich oder für Wohnungsknappheit. Dadurch wurde die ArbeiterInnenklasse nach ihrer Herkunft gespalten. Die treibende Kraft war nicht nur die rechts-populistische FPÖ, die schon seit Jahren Hetze gegen MigrantInnen betreibt. Auch die SPÖ wirkte in der Koalition mit an dieser Politik. Egal ob Burka-Verbot, die Kürzung der Grundversorgung oder die Internierung von „Illegalen“ in Auffanglagern: Nichts war der SPÖ im Schlepptau der Bürgerlichen zu menschenfeindlich.

Natürlich fand die Parteiführung auch für dies Politik einen progressiven Anstrich: Immerhin sei die Burka ein Zeichen der Frauenunterdrückung. Dass dies nicht mehr ist als eine zynische Ausrede, zeigte die Abstimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe im Frühjahr 2016. Damals stimmte die SPÖ gegen den Antrag der Grünen für die Ehe für Alle. Ihr Argument: Es gebe dafür keine parlamentarische Mehrheit.

Ein Flirt mit der FPÖ

Wie prinzipienlos sich die SPÖ-Bürokratie an ihre Posten klammert, zeigt auch die schrittweise Annäherung an die FPÖ. Während ein Flügel der Partei ihre Posten am besten durch eine Koalition mit der SPÖ gesichert sieht, schätzt ein anderer Flügel die Chance auf Ministerposten in einer Koalition mit der FPÖ höher ein. Ein schwammiger Kriterienkatalog für zukünftige Koalitionen lässt die Türe dafür weit offen – aus “strategischen Überlegungen” der Bürokratie. Kanzler Kern erklärte in einer Pressekonferenz, es liege jetzt an der FPÖ, ob sie „zurück aufs Spielfeld“ kommen wolle.

Eine Zeitenwende

In dieser Situation scheint es, als ob es für die Arbeiterklasse weit und breit keinen Ausweg gäbe. Für die politische Ebene gilt das bis zu einem gewissen Grad auch – die Politik der Linken in den letzten Jahren, angefangen bei der Sozialdemokratie, verstopft die Möglichkeit für die Arbeiterklasse, auf diesem Gebiet Schritte nach vorne zu machen oder auch nur den bisherigen Lebensstandard zu erhalten. Doch wenn der Weg über die politische Ebene versperrt ist, werden die ArbeiterInnen andere Wege finden, um ihrem Unmut über den Status Quo Ausdruck zu verleihen, namentlich über den Weg von betrieblichen Kämpfen.

Spuren von 10 Jahren Krise

Dies zeigten die Erfahrungen der letzten Bürgerblock-Regierung zwischen ÖVP und FPÖ, welche von massiven sozialen Protesten begleitet wurde. Ab Februar 2000 bildeten beispielsweise die Donnerstags-Demonstrationen gegen die Koalition in Wien einen wöchentlichen Anziehungspunkt für hunderte DemonstrantInnen. Eine ähnliche Reaktion ist auch auf eine neue Bürgerblock-Regierung denkbar. Doch zehn Jahre nach dem Ausbruch der kapitalistischen Krise befinden wir uns historisch an einem anderen Punkt als Anfang der 2000er Jahre. Dieses Jahrzehnt hat seine Spuren im Bewusstsein der Lohnabhängigen und der Jugend hinterlassen.

Trotz dem Legitimitätsverlust der herrschenden Parteien drückt sich die bestehende gesellschaftlicher Polarisierung heute recht aus. Das Einschwenken aller Regierungsparteien auf rassistische und nationalistische Demagogie hat zu einer erdrückenden Situation geführt. Ein Arbeiter berichtet aus seinem Metaller-Betrieb, dass politische Diskussionen neben der Arbeit verstummt sind. Der Nationalismus und die bestenfalls passive Haltung der Gewerkschaftsführung hat die Gesellschaft ruhig gestellt. Doch wohl nicht nur in seinem Betrieb existiert eine Grundsolidarität zwischen ArbeiterInnen unterschiedlicher Herkunft, trotz der rassistischen Offensive.

Ruhe vor dem Sturm

Im Herbst steht der Kollektivvertrag der Metaller-Branche zur Neuverhandlung. Für die Bosse ist dabei klar: Weiter wie bisher ist keine Option – her mit dem 12 Stunden Tag. Die Gewerkschaftsführung steht diesem Angriff schutzlos gegenüber. Sie will „das schlimmste Verhindern“, ohne die Basis zu mobilisieren. Das kann nicht aufgehen.

Die Situation wird umso explosiver, da die ÖVP und die FPÖ gleich ganz auf branchenumfassende Kollektivverträge verzichten wollen. Für die Metall-ArbeiterInnen hätte das verheerende Konsequenzen. Bereits heute fürchten sich 20% vor Arbeitsunfähigkeit – in Vorarlberg, wo die Branche boomt, sind es sogar 44%.

Ein weiteres Beispiel ist die Druckerei-Branche. Dort wurde im September 2016 der Kollektivvertrag aufgehoben. Diese Situation führte letzten Sommer zu zwei Kundgebungen, wo die kämpferische Stimmung der Belegschaften auf eine kompromisslerische Haltung der Gewerkschaftsführung traf. Auch in den Druckereien ist die Stimmung schlecht. Trotzdem zeigten sich die ZeitungsdruckerInnen als militantester Sektor der Branche zu Kampfmassnahmen bereit. Auch sie müssen sich gegen ihre Gewerkschaft durchsetzen.

All diese Konflikte werden sich nach der Wahl aufs äusserste Zuspitzen und ausgetragen werden müssen. Die absehbare Bürgerblock-Regierung bedeutet, dass die Kapitalisten keine Rücksicht mehr auf Sozialpartner nehmen wollen. In dieser Situation werden auch die Gewerkschaften früher oder später aus ihrer Erstarrung gestossen werden. Dann wird die Gewerkschaftsbürokratie gezwungen sein, ihre sozialen Kräfte zu mobilisieren, aus reinem Selbsterhaltungstrieb. In der aktuellen Situation kann dies der Startpunkt einer Bewegung zumindest von Teilen der ArbeiterInnenklasse sein, die in ihren Forderungen weiter gehen werden, als von der Gewerkschaftsführung beabsichtigt.

Anders als die Südeuropäischen Länder wie Griechenland, Spanien oder Italien hat Österreich die Krise bisher nicht mit voller Wucht getroffen. Trotzdem hat sie die politischen Verhältnisse genau so gründlich zersetzt. Für den Standort Österreich hat die Sozialdemokratie ihre ganze Autorität in die Waagschale geworfen, damit die ArbeiterInnenklasse auch weitreichende Konterreform schluckt. Doch dem Kapital ist dies nicht genug: Drastischere Massnahmen und härtere Schläge gegen die sozialen und demokratischen Errungenschaften müssen her. Genau für diesen Zweck wurde Sebastian Kurz als Vorsitzender der ÖVP aufgebaut.

Auch in der österreichischen Gesellschaft haben sich die Widersprüche Aufgebaut. Zehn Jahre bürgerliche Krisenbewältigung hiess auch zehn Jahre sinkender Lebensstandard. Die absehbare Bürgerblockregierung wird mit ihrer Politik diese Widersprüche auf die Spitze treiben. Die neue Periode wird geprägt sein vom Erwachen der österreichischen Arbeiterklasse auf der Suche nach einem Ausweg aus dieser Krise.