Neueste Zahlen der NGO Oxfam zeigen: Reiche werden reicher, Arme ärmer. Eine Steuerreform wird daran nichts ändern.

Die Bonzen dieser Welt horten und verprassen unvorstellbaren Reichtum, während der Rest mit Armut und Hunger kämpft. Es ist eine Lüge, dass kein Geld für das Gesundheitswesen, die Altersvorsorge, Klimaschutz und höhere Löhne da wäre. Wer Eins und Eins zusammenzählt, merkt, dass wir das Geld dort holen sollten, wo es ist! Logisch erschallt nun der Ruf nach höheren Steuern für die Reichen.

Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Reichensteuer aber als zahnlose Forderung, welche die Ursachen von Ungleichheit und Krise unangetastet lässt. Gegen die Krise des Kapitalismus hilft nur Klassenkampf und die Enteignung des Kapitals.

Reiche werden reicher

Präziser kann die Ungleichheit 2023 nicht zusammengefasst werden als in den Worten von Karl Marx: «Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol.» Elend und Luxus sind zwei Seiten der gleichen kapitalistischen Medaille.

Arbeiter schaffen allen Reichtum, die Kapitalisten eignen ihn sich an. Die 500 grössten Firmen steigerten ihre Profite innert zehn Jahren um 156 %, von $820 Mrd. (2009) auf $2,1 Bio. (2019). In den jüngsten Krisen nehmen sie nur noch mehr zu. Nahrungsmittel- und Energiekonzerne haben ihre Gewinne 2022 verdoppelt. Das Resultat ist eine absurde Vermögenskonzentration. 

Das reichste Prozent der Weltbevölkerung (>1 Mio. Franken) besitzt etwa die Hälfte des weltweiten Reichtums. Seit Beginn der Pandemie konnten sie sich 75 % des neu geschaffenen Reichtums aneignen. 81 Milliardäre besitzen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung zusammen. Die Vermögen der Milliardäre nehmen täglich um $2,7 Mrd. zu. Von Krieg, Krise und Pandemie profitieren die Bonzen, während der Rest in die Misere gedrückt wird.

Arme werden ärmer

Ein ungleiches und ausbeuterisches System wird selten infrage gestellt, solange es steigende Löhne und eine bessere Zukunft bietet. Der Kapitalismus erfüllt diese Hoffnung heute nicht mehr. Die Reallöhne stagnieren seit Jahrzehnten, doch seit 2022 nehmen sie ab. Alles wird teurer, aber die Löhne von 1,7 Milliarden Arbeitern halten nicht mit der Inflation mit. 2020 wurden 70 Millionen Menschen in extreme Armut gedrängt: die grösste Zunahme der Armut seit dem Zweiten Weltkrieg.

Grundlegende Bedürfnisse wie Ernährung werden nicht gedeckt. Die Systemkrise ist auch eine Hungerkrise. Seit 2020 sind die Nahrungsmittelpreise um 30 % in die Höhe geschnellt (FAO). 2022 konnten sich 3,1 Milliarden Menschen keine gesunde Ernährung leisten. 800 Millionen Menschen leiden an Hunger. Energie wurde 2022 so teuer, dass viele zwischen Essen und Heizen entscheiden mussten. 2023 sinkt erstmals in der Geschichte die Zahl der Haushalte mit Stromversorgung. 

Der Kapitalismus ist nicht nur ungerecht, er ist ein Hindernis für den Fortschritt der Menschheit. Während sich die Kapitalisten bereichern, kämpfen die Arbeiter mit Inflation, Armut, Hunger und Klimazerstörung. Ganze Nationen stehen vor dem Bankrott und die Schulden geraten ausser Kontrolle. Drei Viertel aller Länder planen staatliche Sparprogramme. Das Entwicklungsprogramm der UNO sagt, dass sich 9 von 10 Ländern rückwärts entwickeln.

Die Kapitalisten wollen nicht

Angesichts der schreienden Ungleichheit und Armut fordern wohlmeinende Reformer seit 200 Jahren, die Reichen zu besteuern. Linke Sozialdemokraten (z. B. Jeremy Corbyn, JUSO), kritische Ökonomen (Thomas Piketty), NGOs (Oxfam, Solidar) und sogar die «Patriotischen Millionäre» appellieren heute an die Vernunft und Nächstenliebe der herrschenden Klasse. Oxfam berechnet, dass Millionäre nur 2 % und Milliardäre nur 5 % Vermögenssteuern zahlen müssten, um Armut zu beenden und das System vor Krisen und politischer Polarisierung zu retten. Reichensteuern bleiben aber ein utopischer Wunschtraum. Die Kapitalisten mit moralischen Appellen und schlauen Argumenten zu überzeugen, sich «solidarisch» zu zeigen, wird scheitern, weil sie uns entgegengesetzte Interessen haben. Sie profitieren von dieser Situation, auch wenn die Welt um sie herum brennt.

Die Reichen tolerieren nicht, dass ihr Eigentum angetastet wird, auch wenn es zum Vorteil der immensen Mehrheit ist! Sie nutzen allen Einfluss auf Medien, Politiker und Verwaltung, um Steuerreformen zu vermeiden. Wenn das misslingt, bleibt ihnen immer noch ihre ökonomische Waffe. Als Frankreich 2012 eine Reichensteuer einführte, zogen genug Bonzen ins Ausland, sodass die Steuer 2015 wieder abgeschafft wurde. Fabriken sind weniger mobil als Aktienportfolios. Aber Kapitalisten sind bereit, Unternehmen stillzulegen, einen «Investitionsstreik» zu verhängen oder die Wirtschaft auf andere Weise zu sabotieren, um ihre Interessen durchzusetzen.

Keine Illusionen in den Staat!

Reichensteuern sollen den Staat ermächtigen, unsere Probleme zu lösen. Das schürt gefährliche Illusionen. Der bürgerliche Staat kann und will die Reichen nicht zwingen, sich «fair» zu beteiligen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die reichsten Profiteure kaum Steuern zahlen. Elon Musk zahlt effektiv 3,2 % Steuern, Jeff Bezos weniger als 1 %. Der Staat ist das Instrument der Kapitalisten und wird immer 101 Schlupflöcher offenlassen, um Steuern zu vermeiden. Steuersätze für Kapitaleinkommen und Vererbungen sind in den OECD-Ländern seit 1980 um einen Drittel gesunken. Dank teuren Anwälten, Schweizer Banken sowie «Steuerparadiesen» werden Unsummen versteckt. 

Um ernsthaft gegen Steuervermeidung vorzugehen, bräuchte der Staat Einsicht in die Buchhaltungen von Banken und Unternehmen. Gegen Steuerparadiese und Kapitalflucht ist die Kontrolle des internationalen Kapitalverkehrs nötig. Die einzige Antwort auf einen «Investitionsstreik» ist die Enteignung der Kapitalisten. Aber das wäre ein Bruch mit den Kapitalisten! Der bürgerliche Staat wird das Privateigentum niemals infrage stellen.

Reichensteuern werden uns als Kompromiss im Sinne Aller verkauft. Die unversöhnlichen Klassengegensätze schleichen sich aber in der Umsetzung wieder zur Hintertür rein. Nur die kämpfende Arbeiterklasse kann den Kapitalisten ihren Reichtum entreissen. Die Reichensteuer schürt deshalb gefährliche Illusionen in den Staat und gütliche Lösungen zwischen den Klassen.

Das Grundproblem bleibt ungelöst

Abgesehen von der Umsetzung halten Reichensteuern auch einfach nicht, was sie versprechen. Eine Steuerreform soll die immense Ungleichheit korrigieren. Doch woher kommt die Ungleichheit überhaupt? Ungleichheit ist ein logischer Effekt des kapitalistischen Systems. Wenn der überwiegende Teil der Wirtschaft einer winzigen Gruppe von Menschen gehört, ist der Reichtum unweigerlich obszön ungleich verteilt. Ihr Eigentum erlaubt es der Minderheit, die Mehrheit auszubeuten und Profit aus ihrer Arbeit zu ziehen. Logisch haben Arbeiter kein Vermögen: Ihnen wird gerade genug bezahlt zum Weiterleben. Wie Marx erklärte: Die Kapitalisten sind reich, weil die Arbeiter arm sind und umgekehrt. 

Wir sind für ein progressives Steuersystem, in dem die Reichen mehr bezahlen. Aber der Kern des Problems ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Das wird von Reichensteuern in keiner Art und Weise infrage gestellt. Die Musks und Blochers sollen sich weiter bereichern, die Umwelt verschmutzen und politische Demagogie betreiben und lediglich einige Krümel ihres Raubgutes abgeben, um die schlimmsten Exzesse ihrer Handlungen zu lindern. Diese Herrschaften müssen zur Kasse gebeten werden: Indem wir ihnen das Handwerk legen und ihre Produktionsmittel enteignen! Nur so kann der von Arbeitern geschaffene Reichtum in einer demokratischen Planwirtschaft genutzt werden, um die Bedürfnisse der Mehrheit zu befriedigen.

Wir erleben eine Systemkrise, die nichts als Barbarei verspricht, bis wir einen Ausweg aus dem Kapitalismus finden. Die Ungleichheit wird in dem Masse zunehmen, als die Weltwirtschaft ihren Abwärtstrend fortsetzt und die Kapitalisten zugunsten ihrer Profite neue Wege finden, um die Arbeiter zur Kasse zu bitten. Gleichzeitig stehen wir am Beginn einer neuen Periode der Massenkämpfe der Arbeiterklasse. Sie braucht ein umfassendes Kampfprogramm mit dem Ziel, die Macht der Kapitalisten zu brechen. Anstatt Illusionen in Staat und Kapitalismus zu schüren, müssen Forderungen auf den Kern des Problems – das Privateigentum – zielen und die Arbeiterklasse auf die Notwendigkeit des Kampfes vorbereiten.

Lukas Nyffeler, Der Funke Genf