Vielen Linken stösst es sauer auf, dass wir nicht gendern. Wie antworten wir?

Warum gendert ihr nicht?

Hinter dem Gendern steckt meist ein Wille, gegen Sexismus, Unterdrückung von Frauen und von non-binären Menschen anzukämpfen. Diesen Willen teilen wir Kommunisten inbrünstig. Aber hilft die genderneutrale Sprache dem Kampf gegen Unterdrückung? Nein. Die Realität der Unterdrückung ändert sich nicht, wenn wir anders über sie sprechen. Etwas anderes zu behaupten ist ein Schlag ins Gesicht aller alleinerziehenden Mütter, aller Frauen in Armut und ökonomischer Abhängigkeit, aller Opfer von Femiziden oder von Gewalt gegen Transmenschen.

Aber die Sprache ist sexistisch. Reproduziert ihr damit nicht die Unterdrückung?

Ja, die heutige deutsche Sprache überbetont Männer. Aber das ist nicht die Ursache der Unterdrückung. Die Grundlage der Geschlechterunterdrückung liegt in einem ganzen System, das auf Privateigentum, ökonomischer Abhängigkeit und Überausbeutung, «traditionellen» Familienverhältnissen und damit verbundenen Rollenbildern basiert – von dem nur eine kleine reiche Elite profitiert. 

Die Sprachform reflektiert diese jahrtausendelange Unterdrückung. Aber sie erschafft sie nicht und es ist falsch zu sagen, dass die Menschen durch die Sprache unterdrückt werden.

Wenn wir die Unterdrückung ernsthaft bekämpfen wollen, müssen wir bei ihrer wirklichen materiellen Grundlage ansetzen. Wir müssen nicht in der Sprache, sondern in der Realität die Lebensbedingungen verändern. Das geht nur durch den geeinten Kampf der Arbeiterklasse gegen die Kapitalisten. Die Arbeiterklasse hat die Macht, die ganze Welt aus den Angeln zu heben, wenn sie über ihre Unterschiede hinweg vereint ist! 

Aber das schliesst sich doch nicht aus? Die Sprache ist doch auch wichtig?

Die Sprache ist sehr wichtig! Sie ist eine Form des kollektiven Bewusstseins, ein Mittel, das Denken mit anderen Menschen zu teilen. Aber was müssen Denken und Sprache? Sie müssen helfen, die Realität zu verstehen, damit wir sie verändern können! Dafür brauchen wir richtige Ideen, die sprachlich klar und präzise kommuniziert werden. Nur weil ein Satz gegendert ist, wissen wir danach immer noch genauso wenig, woher die Geschlechterunterdrückung kommt, wie sie funktioniert und wie wir sie bekämpfen können.

Aber macht es doch einfach, es schadet ja auch nicht!

Doch, gendern ist nicht nur nutzlos im Kampf gegen Unterdrückung, es schadet ihm.

Erstens, weil es den Kampf von dem weglenkt, was für die Befreiung notwendig ist: weg vom Klassenkampf, weg von der Veränderung der realen Lebensbedingungen. Stattdessen wird die Illusion geschürt, man würde etwas gegen Unterdrückung tun, wenn man doch nur gendert. Das Gewissen einiger Personen ist dann vielleicht beruhigt, man gehört ja zu den «Guten». Aber das nimmt die Unterdrückung nicht ernst!

Zweitens, weil es die Arbeiterklasse im Kampf für die Befreiung spaltet: Wer nicht gendert, gilt als reaktionär und wird für die Unterdrückung verantwortlich gemacht. Damit werden die Konfliktlinien in der Gesellschaft falsch gezogen: Statt den Gegensatz zwischen der grossen Mehrheit von Ausgebeuteten und Unterdrückten vs der kleinen Elite von Ausbeutern offenzulegen, geben «Linke» so der Mehrheit der Arbeiterklasse die Schuld.

Das ist eine Steilvorlage für die Trumps und die SVPs dieser Welt: Sie können sich problemlos auf die konservativen Schichten der Arbeiterklasse stützen und ihre Angriffe auf Frauen, Transmenschen und alle Unterdrückten vorantreiben.

Die Mächtigen dieser Welt reiben sich die Hände. Die Wut und Unzufriedenheit, hervorgebracht durch das Leiden in diesem kaputten System, wird weg vom Klassenkampf in die sicheren Bahnen eines für sie harmlosen «Kulturkampfes» gelenkt. 

Wir können diese Reaktionäre nur besiegen, wenn wir den Kampf aufs Terrain des Klassenkampfes verlagern. Wir müssen die Arbeiterklasse – in all ihrer Verschiedenheit – auf der Grundlage ihres gemeinsamen Interesses gegen die Reichen und Mächtigen vereinen!

Aber stellt ihr euch damit nicht gegen eine fortschrittliche Entwicklung?

Wir brauchen einen grösseren geschichtlichen Blick, der die Zyklen des Klassenkampfes versteht. Ideen sind Ausdruck ihrer Zeit: Gendern ist am Ende des 20. Jahrhunderts aufgekommen. Das war nach den Niederlagen der grossen revolutionären Massenkämpfe der 1960er und 70er. Eine Schicht von kleinbürgerlichen Intellektuellen hat sich enttäuscht vom Klassenkampf und der Revolution abgewandt, hin zur Sprache und kleinen Veränderungen im Verhalten. Das ist kein Fortschritt. Es ist ein Schritt weg von den Methoden, die wirklich fähig sind, die Menschheit zu befreien. Der postmoderne Fokus auf die Sprache widerspiegelt, dass diese Schicht den Glauben verloren hat, dass eine wirkliche, tiefgreifende revolutionäre Veränderung möglich ist: der Sturz dieses gesamten Systems. 

Dieser Pessimismus dient nur der herrschenden Klasse. Sie alle sagen uns: Eine echte Revolution ist unmöglich, die Arbeiterklasse ist eh reaktionär etc. Das ist komplett falsch! Wir stehen am Beginn einer neuen Phase der revolutionären Massenkämpfe der Arbeiterklasse. Wir müssen diese pessimistischen Überbleibsel aus der vergangenen Periode beseitigen. Wir müssen uns auf die Ideen stützen, die tatsächlich Antworten liefern können, wie unser Kampf siegen kann!